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Bundesgerichtshof Beschl. v. 18.05.2022, Az.: XII ZB 325/20
(recht.zivil.materiell.familie.unterhalt)
    

Inhalt
             1. Amtlicher Leitsatz
             2. Tenor:
             3. Tatbestand
             4. Entscheidungsgründe

Ausgleich der kostenfreien Zurverfügungstellung von Wohnraum vorrangig im unterhaltsrechtlichen Verhältnis zwischen den Eltern; Vereinbarung über die Abdeckung der Wohnungskosten durch den Naturalunterhalt des Barunterhaltspflichtigen

1. Amtlicher Leitsatz

a) Das mietfreie Wohnen beeinflusst nicht die Höhe des Kindesunterhalts. Die kostenfreie Zurverfügungstellung von Wohnraum wird vorrangig im unterhaltsrechtlichen Verhältnis zwischen den Eltern ausgeglichen. Ein unterhaltsrechtlicher Ausgleich kann auch darin bestehen, dass der Betreuungselternteil keinen Anspruch auf Trennungsunterhalt geltend machen kann, weil nach der Zurechnung des vollen Wohnwerts keine auszugleichende Einkommensdifferenz zwischen den Eltern mehr besteht.

b) Die Eltern können eine - nach den Umständen des Einzelfalls gegebenenfalls auch konkludente - Vereinbarung darüber treffen, dass die Wohnungskosten durch den Naturalunterhalt des Barunterhaltspflichtigen abgedeckt werden. Für die Erfüllung des Barunterhaltsanspruchs (§ 362 BGB) aufgrund einer solchen Vereinbarung trifft den Barunterhaltsschuldner die Darlegungs- und Beweislast.

c) Bevor die Haftungsquote für den anteiligen Mehrbedarf bestimmt wird, ist von den Erwerbseinkünften des betreuenden Elternteils der Barunterhaltsbedarf der Kinder nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern abzüglich des hälftigen auf den Barunterhalt entfallenden Kindergelds und abzüglich des vom Kindesvater geleisteten Barunterhalts abzusetzen. In der verbleibenden Höhe leistet der betreuende Elternteil neben dem Betreuungsunterhalt restlichen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt. Die andere Hälfte des Kindergelds, die der betreuende Elternteil erhält, ist nicht einkommenserhöhend zu berücksichtigen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 29. September 2021 - XII ZB 474/20 - FamRZ 2021, 1965).

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2022 durch die Richter Guhling, Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur für Recht erkannt:

2. Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerden der Antragstellerinnen wird der Beschluss des 4. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 26. Juni 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

3. Tatbestand

1Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt.

2Die Antragstellerin zu 1 (im Folgenden: Mutter) und der Antragsgegner (im Folgenden: Vater) sind miteinander verheiratet, leben aber seit dem 1. August 2016 getrennt. Aus der Ehe gingen die Kinder F. (geboren am 1. September 2002; die Antragstellerin zu 2), N. (geboren am 1. April 2005) und Na. (geboren am 17. Januar 2007) hervor. Sie leben seit der Trennung in einer Immobilie, die zu 60 % im Miteigentum des Vaters und zu 40 % im Miteigentum der Mutter steht. Weder Ehegattenunterhalt noch Nutzungsentschädigung werden verlangt oder gezahlt.

3 Mit Jugendamtsurkunden vom 23. März 2017 verpflichtete sich der Vater, für die Kinder ab dem 1. April 2016 115 % des Mindestunterhalts nach der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen.

4 Die Mutter hat die Abänderung der Jugendamtsurkunden dahin begehrt, dass jeweils 128 % des Mindestunterhalts der Düsseldorfer Tabelle ab dem 1. August 2016 zu zahlen sind. Zudem hat sie für F. und N. Mehr- und für Na. Sonderbedarf wegen einer kieferorthopädischen Behandlung geltend gemacht.

5 F. und N. nehmen seit dem Jahr 2012 an einer Förderung für die deutsche Sprache sowie für Fremdsprachen (Englisch) teil. Bei N. bestand im Jahre 2015 zudem eine Lese- und Rechtschreibschwäche. Insoweit fielen für F. von April 2017 bis Januar 2018 monatlich 192 € an. Ab Februar 2018 reduzierte sich der Betrag bei F. auf 119 €, da sie die Förderung in der deutschen Sprache nicht mehr benötigte. Die Förderung endete bei F. am 30. Juni 2019. Für N. fielen im Zeitraum von April 2017 bis Februar 2018 monatlich 192 € an, ab Februar 2018 beläuft sich der Betrag für N.s Förderung auf 199 €. Na. befindet sich in kieferorthopädischer Behandlung, durch die wegen der Verwendung sogenannter Speed Brackets voraussichtlich Kosten in Höhe von 2.170 € entstehen, die durch die Krankenversicherung nicht abgedeckt sind.

6 Der Vater ist als Bundesbeamter in der Informationstechnik, die Mutter ist in Teilzeit mit 25 Stunden wöchentlich beruflich tätig.

7 Das Amtsgericht hat die Abänderungsanträge abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat durch den Einzelrichter den amtsgerichtlichen Beschluss dahin abgeändert, dass es dem Vater aufgegeben hat, an die Mutter für das Kind F. über den in der Urkunde des Jugendamts titulierten Unterhalt hinaus rückständigen Mehrbedarf von 1.602,33 € für den Zeitraum von April 2017 bis zum Juni 2019 und für das Kind N. über den in der Urkunde des Jugendamts titulierten Unterhalt hinaus rückständigen Mehrbedarf von 2.851,67 € für den Zeitraum von April 2017 bis zum Juni 2020 sowie ab Juli 2020 monatlich 66,33 € zu zahlen. Ferner hat es festgestellt, dass der Vater verpflichtet ist, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommenen Kosten der kieferorthopädischen Behandlung des Kindes Na. gemäß Behandlungsplan vom 6. Juni 2017 in Höhe von einem Drittel zu tragen. Im Übrigen hat das Oberlandesgericht die Beschwerdeanträge der Mutter, also auf Höherstufung des Tabellenunterhalts auf 128 % und weitergehende Übernahme des Mehr- und Sonderbedarfs durch den Vater, zurückgewiesen.

8 Die Mutter und die Antragstellerin zu 2, nachdem sie volljährig geworden ist, verfolgen mit den zugelassenen Rechtsbeschwerden ihre vor dem Oberlandesgericht gestellten Anträge weiter.

4. Entscheidungsgründe

I.

9

1. Die Abänderungsanträge sind zulässig

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Auf diesen Artikel verweisen: Mehrbedarf, Kinder